Tiermedizin studieren
Vom Hörsaal in die Tierklinik
Wer in Deutschland Tiermedizin studieren will steht vor hohen Zulassungshürden. Immer mehr Studenten entscheiden sich daher für einen englischsprachigen Studiengang im europäischen Ausland. Und das ist weit mehr als eine Notlösung! In Lettland oder Polen warten moderne Universitäten, perfekte Studienbedingungen und eine internationale Studentenschaft auf die angehenden Tierärzte.
Das nennt man wohl ein repräsentatives Universitätsgebäude! Die Latvia University of Science and Technology (LBTU) im lettischen Jelgava ist immerhin im größten Barockschloss des Baltikums untergebracht. Durch die langen Gänge des Gebäudes aus dem 18. Jahrhundert laufen täglich Studenten aus Finnland, England, Polen und anderen europäischen Ländern, auch einige Deutsche sind dabei. Denn hier, knapp 50 Kilometer von der Hauptstadt Riga entfernt, wird seit Neuestem ein internationales Tiermedizinstudium in englischer Sprache angeboten.
Die 20-jährige Corinne aus Mainz hat ihr Studium an der LBTU gerade begonnen. „Kein Abitur mit einer Eins vor dem Komma und kein Glück über Losverfahren oder Warteliste“, erzählt sie eine Geschichte, die wohl vielen bekannt vorkommt. Tiermedizinstudienplätze an deutschen Universitäten sind rar. Kanpp 4.000 Bewerber kommen meist auf die annähernd 1.000 Studienplätze in Deutschland, so die staatliche Vermittlungsstelle „Hochschulstart“. Immer mehr deutsche Studenten folgen daher dem Beispiel der Human- und Zahnmediziner und wandern ins europäische Ausland ab.
Jelgava in Lettland: Fast familiäre Verhältnisse
Für Corinne stand ihr Wunschstudium Tiermedizin schon vor dem Abitur fest. Also schaute sie sich in Europa um und stieß auf den internationalen Studiengang an der LBTU. Nach Bewerbung und bestandenem Aufnahmetest ging es los. „Eine bessere, individuellere Betreuung kann ich mir an einer Hochschule nicht vorstellen. Das hat natürlich auch mit unserer Gruppengröße zu tun“, berichtet Corinne. Gerade einmal sieben Studenten sind im englischsprachigen Programm Tiermedizin in Jelgava im ersten Semester eingeschrieben.
„Wir haben ein enges Prüfungssystem, in dem zweiwöchentlich, manchmal auch wöchentlich, geprüft wird. In Physik kommt es zum Beispiel vor, dass jeder Student einen individuellen Test mit eigenen Fragen bekommt.“ Im Hauptgebäude der Universität finden vor allem die theoretischen Veranstaltungen statt. Weitere Seminarräume und die Tierklinik, an der die praktische Ausbildung stattfindet, sind an anderen Standorten untergebracht. „Jelgava ist eine Kleinstadt, aber die Studentengemeinde rückt deswegen noch enger zusammen“, erzählt die Studentin.
Das Beschauliche der Stadt und die viele Natur drumherum muss man mögen. Oder aber viel fahren. „Einige Studenten wohnen in Riga und pendeln nach Jelgava\“, erzählt Agris Dobrovoļskis, Koordinator für die internationalen Studiengänge der LLU. „Auch das ist eine Möglichkeit, wenn man das Studium in einer ländlichen Kleinstadt mit dem Studentenleben einer Großstadt verbinden möchte.“ Corinne hat sich für das Studentenwohnheim in Jelgava selbst entschieden. Nach der Anmeldung hatte sie dort sofort ein Zimmer sicher. Zwei Dinge haben sie besonders überrascht: „Zuerst, wie neu hier alles ist, gerade die Ausstattung an der Tierklinik. Und dass die Teilnahme am Sportkurs verpflichtend ist.“ Corinne belegt den Schwimmkurs der Universität und sammelt dabei Credits für ihr Studium – für ein deutsches Tiermedizin-Curriculum eher ungewöhnlich.
Anstrengend, aber ungemein spannend: Tiermedizin Studieren in Warschau
Wer lieber in einer richtigen Großstadt studieren möchte, der sollte sich einmal die Warsaw University of Life Sciences (WULS) ansehen. Die polnische Hauptstadt gehört zu den aufregendsten Städten Europas überhaupt und das studentische Leben ist so vielfältig wie die Metropole selbst. Das Bewerbungsverfahren wird in der Regel über International Medicine Studies (IMS) abgewickelt. Hier ist man mittendrin einer echten europäischen Kulturhochburg. Das ist spannend, kann aber auch ganz schön anstrengend sein. In Warschau absolvieren derzeit annähernd 250 Studenten den englischsprachigen Tiermedizin-Studiengang. Die WULS hat ihn 2007/2008 ins Leben gerufen und arbeitet seitdem an einer engen internationalen Vernetzung. So sind im Rahmen des Euroleague Life Science Netzwerks Kooperationen mit der Universität Kopenhagen, der Universität Hohenheim und der University of Life Sciences, Wien, entstanden.
Studiengebühren
Bevor aber das Abenteuer „Internationaler Studiengang“ startet, gilt es, Informationen zu sammeln. Am wichtigsten: die Anerkennung. Absolventen mit einem internationalen Abschluss „Doctor of Veterinary Medicine“ aus einem anderen EU-Mitgliedsland erhalten nach einer Gleichwertigkeitsprüfung die Approbation und sind dann ohne Einschränkung berechtigt, in Deutschland zu praktizieren. Am zweitwichtigsten sind meist die Studiengebühren, an der Hauptstadt-Uni in Warschau liegen die im Jahr 2024 bei 9.600 Euro pro Studienjahr. Im lettischen Jelgava fallen sie mit 9.000 Euro pro Jahr etwas niedriger aus. In Warschau sind die Mieten verglichen mit Jelgava vergleichsweise hoch, aber immer noch deutlich niedriger als in Deutschland. Mindestens 500 bis 700 Euro sollte man pro Monat allerdings in allen drei Städten kalkulieren, so der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD).
Neben dem Klassiker, dem Tiermedizin-Studium in Ungarn, haben sich also in den vergangenen Jahren attraktive Alternativen entwickelt. Warschau und Jelgava sind nur zwei Beispiele von vielen; auch in der Slowakei, in Litauen und an anderen polnischen Universitäten werden Veterinärmedizinier ausgebildet. Und den Blick über den Tellerrand, den gibt es überall gratis dazu.
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