Erfahrungen: Tier/medizinstudium in kaunas
Deutsche Studierende in Litauen im Gespräch
Aus Litauen: Eva Istók – Einmal im Jahr organisiert das International Relations and Study Centre der Lithuanian University of Health Science (LSMU) die „Agent Days“. Partner-Agenturen aus verschiedensten Ländern der Welt werden eingeladen, um sich persönlich ein Bild von der Hochschule zu machen. Für Finde Academic habe ich neben dem offiziellen Programm die Gelegenheit, zwei unserer ehemaligen Bewerber*innen zu treffen.
Im Interview
Aus erster Hand berichten sie mir, wie es denn nun aus Sicht der Studierenden ist, an der LSMU eingeschrieben zu sein und wie sich der Alltag in Kaunas gestaltet.
Tim – 4. Semester Humanmedizin, LSMU Kaunas
„Zusammen durch dick und Dünn“
Tim studiert im vierten Semester Humanmedizin. Bei einem Spaziergang in der reizenden Altstadt erzählt er mir von seinen Erfahrungen in Kaunas. „Der Anfang war hart, da ich Freunde und Familie zurücklassen musste. Inzwischen habe ich mich aber daran gewöhnt und weiß die Stadt und die Universität zu schätzen.“
Vom Studium berichtet Tim viel Gutes. Vor allem hatte er Glück mit seiner study group (Anmerkung: Vom ersten Semester an, werden die Studierenden in study groups von max. 10 Personen aufgeteilt. Diese bleiben bis zum Ende des Studiums bestehen). “Zusammen gehen wir quasi durch dick und dünn.“, meint Tim. Der größte Anteil an Studierenden kommt aus Israel und Schweden. Die deutsche Community ist mit ca. 100 Studierenden an der LSMU eher klein.
Das Curriculum an der LSMU ist in Module aufgeteilt (vergleichbar mit Modellstudiengängen in Deutschland). Das erste Jahr bildet anfangs noch eine Ausnahme, da Anatomie, Histologie, Zytologie, Genetik und andere relevante Fächer nacheinander gelehrt werden. Danach beginnen die eigentlichen Module. Tim sieht die Vorteile dieses Systems, denn die einzelnen Blöcke erarbeiten jeweils das relevante Organsystem und schließen mit einer Prüfung ab. Dadurch hat man am Ende des Semesters keine große Prüfungsphase, was vieles entspannter macht, und man ist gezwungen auch während des Semesters dranzubleiben. Tim fügt hinzu: “Manchmal fehlt einem jedoch das Wissen aus anderen Organsystemen, um sich bestimmte Mechanismen zu erschließen, da das relevante Modul erst später ansteht. Hier profitiere ich sehr von der Vorbereitung auf den MedAT, mit der ich mir in vielen Fachbereichen bereits einiges an Wissen erarbeiten konnte.“
Problem-Based Learning wichtiger Baustein
An der Hochschule wird Problem orientiertes Lernen (“problem based learning”) als großer und wichtiger Baustein für die einzelnen Module genutzt. In den abzuleistenden Tutorials – einer Art Selbstlernkonzept – bekommen die Studierenden Patientenfälle, die im aktuellen Modul relevant sind und die in der study group gemeinsam zu lösen sind. Hierbei ist es nicht nur wichtig, den Fall von verschiedenen Perspektiven aus zu betrachten, sondern auch Zusammenhänge zwischen den einzelnen Fachbereichen zu erkennen und die Mechanismen des Körpers zu verstehen. Die begleitende Lehrperson überwacht das ganze idealerweise als stiller Zuschauer. „Durch das Arbeiten in der study group erkennt man wie wichtig Teamwork ist. Man kann vom Wissen der anderen profitieren und sich auch gegenseitig motivieren, wenn man mal durchhängt.“, sagt Tim. Vorlesungen werden hauptsächlich online abgehalten. Einerseits hat dies den Vorteil, dass man sich einfach von zu Hause aus dazu schalten kann, andererseits fehlt auch der direkte Kontakt zu den Dozent*innen oder anderen Studierenden.
Tim hat sich schon öfter gefragt, ob die Qualität der medizinischen Ausbildung in Litauen mit der Ausbildung an deutschen Hochschulen mithalten kann. „Die Frage, ob man gut genug ist, weil man nicht in Deutschland studiert, beschäftigt, glaube ich, viele Studierende im Ausland.” Eine finale Antwort hat er noch nicht für sich gefunden, auch wenn er immer wieder merkt, dass die LSMU ihm eine gute Ausbildung bietet.
„Regelmäßig im OP hospitieren“
Laut Tim ist das Level an Motivation im Studium in der Breite der Studierenden sehr unterschiedlich. Bringt man jedoch Eigeninitiative ein, wird das von den Dozent*innen honoriert. „Weil ich in einem Seminar auf einen Dozenten zugegangen bin und mich mit ihm ausgetauscht habe, kam die Chance zustande, im OP regelmäßig zu hospitieren. Sein Angebot ist unheimlich hilfreich, gerade um das meist theoretisch Gelernte in der Praxis sehen zu können. Außerdem hilft es enorm, früh Eindrücke für die Wahl meines zukünftigen Karriereweges zu erlangen.”
Überaus positiv bewertet Tim die unbürokratischen Abläufe und flachen Hierarchien an der LSMU. Benötigt man Unterlagen (z.B. Nachweise der Studienleistungen) bekommt man diese problemlos. Auch die Mitarbeiter*innen des International Relations and Study Centres sind immer erreichbar und stehen allen Studierenden mit Rat und Tat zur Seite.
Jessica – 2. Semester Tiermedizin, LSMU Kaunas
„Unterstützung von allen Seiten“
Gleiches berichtet Jessica aus Deutschland, die im zweiten Semester Tiermedizin an der LSMU studiert. Sie ist begeistert von dem wunderschönen Campus und der modernen Ausstattung der tiermedizinischen Fakultät. „Von allen Seiten bekommt man Unterstützung, wenn es mal irgendwo hakt.“ Vor allem für die Neuankömmlinge wird sehr viel getan, damit diese sich in der ungewohnten Umgebung schnell zurecht finden. Mentor*innen aus höheren Fachsemestern organisieren regelmäßige Treffen und gestalten verschiedene Unternehmungen in Kaunas und Umgebung. Zu Beginn des ersten Semesters veranstaltet die LSMU jährlich ein zweitägiges Freshman´s Camp, bei dem das Kennenlernen der Mitstudierenden und vor allem viel Spaß an vorderster Stelle stehen.
Der Zugang zu benötigten Lernmaterialien ist sehr einfach und die Dozent*innen sind immer offen für Fragen. Wenn man sich interessiert zeigt, darf man die Lehrenden in die Tierkliniken begleiten und erhält dort erste Einblicke in den Praxisalltag. Der Lernstoff ist umfangreich. Wenn man sich anstrengt, ist dies jedoch zu meistern. In diesem Zusammenhang, hebt auch Jessica, die später einmal im Zoo und am liebsten mit Großkatzen arbeiten möchte, die Vorteile der kleinen study groups und der Organisation der Lerninhalte in Modulen hervor.
Leben und Kosten in Kaunas – Erfahrungen
Sowohl Tim als auch Jessica finanzieren ihr Studium über eigens Erspartes und private Studienkredite. Da Tim zu den besten 10% der Studierenden seines Jahrgangs zählt, erhält er von der Universität ein Stipendium von knapp 500 EUR im Semester. Ein solches Stipendium wird allen hervorragenden Studierenden ohne spezielle Antragsstellung gewährt, auch in der Tier- oder Zahnmedizin.
Während Tim inzwischen mit einem Freund eine WG gegründet hat, wohnt Jessica, die sich gerade auf Wohnungssuche macht, derzeit noch in einem Wohnheim. Der private Wohnungsmarkt ist nicht günstig, dennoch liegen die Mietpreise weit unter denen deutscher Hochschulstädte. Andere Lebenshaltungskosten wie Lebensmittel und Mobilität sind im Vergleich zu Deutschland weitaus niedriger. „Für ein Busticket bezahle ich 30 ct“, berichtet Jessica, „und das Busnetz ist fantastisch ausgebaut.“
Insgesamt ist das Leben in Kaunas, das mit über 300.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt in Litauen ist, unkompliziert und entspannt. „Ich habe mich noch in keiner anderen Stadt so sicher gefühlt, wie hier.“, sagt Jessica, „Man kann sehr viel unternehmen und vor allem in den Bars und Clubs in der Altstadt ist am Wochenende immer was los.“ Tim und Jessica sind sich einig: „Mit der litauischen Bevölkerung kommt man nicht allzu leicht in Kontakt, auch wenn die jüngere Generation sehr gut Englisch spricht.“ Beide Deutschen haben die obligatorischen Sprachkurse in Litauisch belegt und kommen in Geschäften und Restaurants gut zurecht.
Direktflüge von Berlin
Kaunas ist von Deutschland aus gut zu erreichen und die Flüge sind erschwinglich. Während Jessica, die in Leipzig zu Hause ist, einmal im Monat von Kaunas aus direkt nach Berlin und zurück fliegt, nutzt Tim die Flugverbindung Vilnius – Nürnberg um ebenfalls monatlich in seine Heimatstadt Würzburg zu reisen. Ob beide Ihr Studium in Kaunas beenden oder in ein höheres Fachsemester in Deutschland wechseln, ist derzeit noch Zukunftsmusik. Die wertvollen Erfahrungen, die sie mit dem Studium Human-, bzw. Tiermedizin sammeln können, werden für beide sicherlich beeindruckend bleiben.
eik – © Finde Academic